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Mieter von Gewerbeflächen – besonders im Einzelhandel – traf die Corona-Krise in der Phase des striktesten Lockdowns im März und April 2020 besonders hart: Umsätze brachen massiv ein, weil geöffnet bleiben durfte, aber der Ausgang massiv beschränkt war. Oder aber Umsätze fielen komplett weg, da z.B. Ladengeschäfte gar nicht geöffnet werden durften.
Zwar reagierte die Bundesregierung schnell und regelte zeitnah, dass ausbleibende oder reduzierte Miet- und Pachtzahlungen nicht zu einer Kündigung führen dürfen. Nicht abschließend geklärt ist aber, ob Mieter und Pächter von Ladenflächen, Büros oder Gastronomie-Flächen wegen der Einschränkungen durch Corona – seien sie rechtlicher oder faktischer Art – ihre Miete bzw. Pacht in voller Höhe bezahlen müssen bzw. mussten oder ob sie ggf. die Miete / Pacht (rückwirkend) mindern können.
Aus diesem Grund befasse ich mich in einem zweiteiligen Beitrag mit der Frage, ob und auf welcher Rechtsgrundlage Mieter von betroffenen Gewerbeflächen ggf. berechtigt sein können, die Miete / Pacht wegen coronabedingter Einschränkungen in der Nutzbarkeit (nachträglich) zu kürzen.
Keine explizite Regelung wie in Österreich
Im österreichischen Mietrecht befreit §1104 ABGB den Mieter unter bestimmten Umständen davon, Miete oder Pacht zu bezahlen, wenn die z.B. Gewerbeflächen, Büros etc. wegen „außerordentlicher Zufälle“ nicht genutzt werden können, z.B. wegen Feuer, Krieg oder Seuchen, großen Überschwemmungen, Wetterschlägen oder „gänzlichem Mißwachs“.
Eine vergleichbar ausdrückliche Regelung existiert in Deutschland leider nicht. In Deutschland könnte aber eine Reduzierung der Miete / Pacht wegen „Mangelhaftigkeit der Mietsache“ bis auf Null gem. § 536 I 1 BGB möglich sein. Diese Regelung geht als speziellere Vorschrift (sog. lex specialis) einer allgemeinen Regelung vor, die ebenfalls greifen könnten: der Anspruch auf Anpassung des Vertrags wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 I BGB. (Teil II dieses Beitrags).
Was ist ein Mangel iSd § 536 Abs. 1 S. 1 BGB?
Ob Gewerbemieter im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie die Miete wegen eines Mangels gem. § 536 I 1 BGB mindern oder ganz einbehalten können, hängt davon ab, ob die Einschränkungen, die mit der Corona-Krise verbunden sind, ein Mietmangel sind.
Ein Mangel im (Gewerbe-) Mietrecht ist nach allgemeiner Auffassung, wenn die Ist-Beschaffenheit von der (vereinbarten) Sollbeschaffenheit abweicht und die „Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch aufgehoben ist oder stark eingeschränkt ist“. Das bezieht sich auf die physische Beschaffenheit der Gewerbefläche einerseits, aber auch auf die rechtliche Nutzbarkeit. Eine faktisch vollkommen gebrauchstaugliche Gewerbefläche kann also mangelhaft sein, wenn sie wegen bestimmter direkter / indirekter behördlicher / gesetzlicher Regelungen nicht (mehr) so genutzt werden kann, wie vereinbart. Und auch wenn sich um Umfeld der Gewerbefläche etwas verändert, das Einfluss auf die Gebrauchstauglichkeit der Fläche hat (Baustelle, veränderte Mieterstruktur in der Umgebung etc.), kann das unter Umständen ein Mangel im Sinne des § 536 I 1 BGB sein.
Insofern ist es grundsätzlich denkbar, dass die eingeschränkte Nutzbarkeit von Gewerbeflächen wegen Auswirkungen der Corona-Pandemie ein (rechtlicher) Mangel ist, der zur Mietminderung – sogar bis auf „null“ berechtigt.
Interessant dabei vor allem für Mieter: der Vermieter muss nicht „schuld“ sein am Mangel. Der Vermieter muss - juristisch gesagt – den Mangel zu vertreten haben, damit der Mieter ggf. die Miete wegen eines Mangels mindern kann.
Warum Corona doch kein „Mangel“ ist
Grundsätzlich geht die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) aber auch davon aus, dass die Mieter im Gewerbemietrecht das sog. Nutzungsrisiko tragen. Mieterschutz existiert im Gewerbemietrecht quasi nicht. Das gilt z. B. auch im Zusammenhang mit nachträglichen behördlichen / gesetzgeberischen Beschränkungen, die sich negativ auf den Umsatz des Nutzers / Nutzbarkeit der Mietsache auswirken – so der BGH im Jahr 2011.
Vor allem diese Rechtsprechung könnte im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie bedeuten, dass Mieter von Gewerbeflächen auch das wirtschaftliche Risiko für Beschränkungen im Zusammenhang mit der Pandemie trifft. Eine Minderung nach § 536 I 1 BGB wäre dann ausgeschlossen.
Die Rechtsprechung zum Nutzungsrisiko und der Gedanke, sie auf die Pandemie anzuwenden ist grundsätzlich nachvollziehbar. Denn einerseits kann und soll ein Vermieter nicht für jede Gebrauchsbeeinträchtigung eintreten müssen, auch wenn die Beeinträchtigung mit der Mietsache – ihrer Beschaffenheit, Lage etc. – rein gar nichts zu tun hat. Andererseits ist eine komplette Abwälzung eines solchen Risikos auf Mieter im Falle dieser Pandemie und der umfassenden Anordnung der Schließung von Gewerbeflächen im Hinblick auf „Treu und Glauben“ im Mietverhältnis ebenso wenig denkbar. Denn diese Situation geht in ihrer Dimension deutlich über das allgemeine Nutzungsrisiko hinaus: Die Corona-Pandemie mit all ihren im Frühjahr 2020 unabschätzbaren und nie dagewesenen Auswirkungen ist etwas anderes als eine lästige Baustelle oder sich verändernde Kundenströme in einer Fußgängerzone durch eine Straßensperrung etc.
Das ökonomische Risiko dieser Situation einer Mietpartei – dem Vermieter! – über das Minderungsrecht des Mieters zuzuordnen, wird der Situation genauso wenig gerecht wie der komplette Ausschluss des Minderungsrechts für Mieter. Das gilt vor allem, da sich die Einzelfälle hinsichtlich Beeinträchtigungen und wirtschaftlichen Folgen so stark voneinander unterscheiden, dass eine „gerechte“ Anwendung des § 536 I 1 BGB quasi unmöglich ist.
Mein Fazit
COVID-19 und die mit der Pandemie verbundenen Einschränkungen z.B. auf Grundlage behördlicher Verfügungen, sind meines Erachtens kein mietrechtlicher Mangel iSd § 536 I BGB. Das gilt vor allem, da Art und Umfang der behördlichen Verfügungen in diesem Kontext nicht vergleichbar sind mit behördlichen Verfügungen in der Vergangenheit, die sich auf Einzelfälle in einer konkreten / konkretisierbaren / ggfs sogar absehbaren Form bezogen haben.
Mieter und Pächter sollten demnach nicht auf der Grundlage eines Mangels nach §536 I 1 BGB die Miete / Pacht mindern – auch nicht nachträglich für die Phase des härtesten Lockdowns im Frühjahr 2020! Hat man als Mieter von der Stundungsmöglichkeit Gebrauch gemacht und Mietzahlungen zwischen April und Juni 2020 einbehalten, müssen die ausstehenden Mietbeträge grundsätzlich in vollem Umfang innerhalb der gesetzlichen Frist – also bis Ende Juni 2022 – an den Mieter bezahlt werden, wenn keine anderweitigen Vereinbarungen, z.B. im Wege der Anpassung des Mietvertrages getroffen wurden.
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